Schreibübungen, die wirklich Spaß machen
- Vera Zischke
- 2. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Machst du Fingerübungen? Schreibst du manchmal einfach so, um dich warmzuschreiben, um deine Sinne zu schärfen oder um deine Figuren besser kennenzulernen? Für all das sind Schreibübungen da.

Ich habe in den vergangenen 20 Jahren viele verschiedene Schreib- und Textwerkstätten besucht und ein paar Übungen sind bis heute hängen geblieben. Ich war 24, als ich von der Dozentin einer Berliner Journalistenschule an den Bahnhof Zoo geschickt wurde, um 15 Minuten lang einfach nur dem Leben um mich herum zuzuhören. Anschließend sollte ich daraus eine Szene schreiben und ich weiß heute noch, was mein erster Satz war: „Da steht doch eh nix drin“, sagt der Mann zur Zeitungsverkäuferin und deutet auf den Ständer, der vor Schlagzeilen nur so überquillt.
Schreiben ohne Verwendungszweck, nicht druckreif schreiben, einfach mal laufen lassen - das kann enorm helfen, die eigene Kunst zu entwickeln. Ich vergleiche es mit Malerinnen und Malern, die Miniaturen zeichnen, um den Schwung einer Landschaft zu üben oder eine Lichtspiegelung.
Hast du Lust, es auszuprobieren? Hier kommen drei Tips für Fingerübungen, bei denen du deinem Talent freien Lauf lassen kannst.
Schreibübung 1: Die Sinne schärfen:
Es muss nicht direkt der Bahnhof Zoo sein. Nimm den nächsten Wocheneinkauf im Supermarkt oder die Schlange an der Kinokasse, den Spielplatzbesuch oder meinetwegen das, was dir zu Ohren kommt, wenn du auf einer Sanyfair-Toilette mit ihren Papierwänden sitzt. Irgendetwas ist immer dabei, was dir den Aufhänger für einen kleinen Text liefert. Schreib frei und ungezwungen zehn Minuten lang raus, was du in der kurzen Zeit erlebt hast.
Was ist hängengeblieben und darf zuerst aufs Papier? Was hast du über die Menschen erfahren, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort waren? Hast du etwas gehört oder etwas gesehen? Hat dich etwas irritiert, ohne dass du in dem Moment sagen konntest, warum? Waren es gar nicht die Menschen, sondern der Ort, seine merkwürdigen Regeln, der Geruch oder die Musik, die im Vordergrund stand?
Du schärfst mit dieser Übung nicht nur deine Wahrnehmung. Du wirst auch feststellen, dass sich eine Szene automatisch richtig aufbaut, wenn du deine Eindrücke ganz frisch zu Papier bringst. Wenn wir mit der inneren Lektorin im Hinterkopf schreiben, neigen wir dazu, zunächst die Optik eines Raumes oder eines Menschen zu beschreiben. Ganz häufig fallen uns aber zunächst andere Dinge auf. Zumindest nehmen wir nicht zu erst den Raum in seiner Gesamtheit wahr, sondern ein Detail, etwa ein zu laut aufgedrehtes Radio, ein überquellender Mülleimer oder ein auffälliges Möbelstück. Diese Schreibübung kann dir helfen, ins intuitive Schreiben reinzufinden und den Film vor deinen Augen zu starten.
2. Schreibübung 2: Deine Figuren kennenlernen:
Wie würde die Hauptfigur ihres aktuellen Romans reagieren, wenn sie einen Auffahrunfall bauen würde? Wie würde die zweitwichtigste Figur deines Projekts reagieren, wenn sie dabei auf dem Beifahrersitz ist?
Eine Spielszene zu diesem Thema wird dir ganz sicher dabei helfen, deine Figuren besser kennenzulernen. Reagiert deine Hauptfigur ängstlich/unterwürfig oder souverän? Kennt sie die Nummer ihrer Versicherung und ist sie diejenige, die die Polizei ruft? Wie schlimm ist es für sie, dass das Auto beschädigt ist? Denkt sie an ihren eigenen Ärger oder was andere dazu sagen? Vielleicht stellst du fest, wie leicht es dir einfällt, deine Figur einzuschätzen. Vielleicht zeigt sie dir eine bislang unbekannte Seite.
Mir wurde mal empfohlen, ein Standardszenario in meinen Schreibprozess zu etablieren, das ich bei jedem Projekt aufs neue nutze, um meine Figuren kennenzulernen. Das mache ich zwar nicht. Was ich aber durchaus gerne mache, ist eine Schlüsselszene aus der Vergangenheit aufzuschreiben, die meine Figur sehr geprägt hat. Speziell, wenn es ein Erlebnis ist, das immer wieder eine Rolle spielt (wenn auch nur dessen Folgen), ist es hilfreich, das Geschehen so gut wie möglich zu kennen.
In meinem aktuellen Projekt zum Beispiel beklagt eine meiner Figuren das Ende einer Freundschaft, die ihr sehr wichtig war. Ich habe eine Szene geschrieben, die in der Zeit spielt, als die Freundschaft noch intakt war, weil ich sehen wollte, wie eng die beiden miteinander waren. Ich habe auch die Situation geschrieben, die letztlich zum Bruch der beiden geführt hat. Beide Szenen werden nicht im Roman landen, da sie nicht relevant genug für die Haupthandlung sind, Aber ich muss sie kennen, um zu verstehen, wie meine Figur diesen Verlust verarbeitet und wie sie in Zukunft auf Menschen zugeht.
3. Schreibübung 3: Dich warmschreiben
Es gibt diese Phasen, da schrubbe ich lieber mein Bad mit der Zahnbürste statt mich an meinen Schreibtisch zu setzen und die nächste Szene anzugehen. Ich finde einfach nicht in den Text rein, meine Gedanken kreisen um alles mögliche, nur nicht um meine Geschichte. In diesen Momenten krame ich mein großes grünes Notizbuch mit 200 Seiten hervor und schreibe drauflos. Manche nennen es „Morgenseiten“, manche Tagebuch. Ich nenne es „freischreiben“, man könnte auch sagen „das Gehirn durchlüften“. Ich schreibe alles raus, was sich an Gedanken knubbelt, in der Hoffnung, dass der Kopf danach frei und bereit ist, sich auf meine Geschichte zu fokussieren. Manchmal dauert es ein paar Tage, bis ich genug beiseite geschafft habe. Oft genug kann ich nach zwei Seiten Gehirnkirmes wieder in meine fiktive Welt abtauchen.
Einzige Ausnahme: Wenn in meinem Leben gerade große Umwälzungen stattfinden, ob schön oder traurig, dann brauche ich oft mein ganzes Hirn und mein ganzes Herz in der realen Welt, bevor ich es wieder einfach nur genießen kann, in meine fiktive Zweitwelt abzutauchen.
Ist es nicht praktisch, dass wir immer mehrere Welten zur Auswahl haben? In welche Welt tauchst du heute ab?
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