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  • AutorenbildVera Zischke

Faktencheck & Sensitivity Reading für dein Manuskript

Aktualisiert: 7. Apr.

Was können AutorInnen von JournalistInnen lernen? Zum Beispiel wie eine gute Nachbereitung geht. Denn nach dem Schreiben ist vor dem Faktencheck. Wenn du ein Buch geschrieben hast, in dem marginalisierte Gruppen vorkommen, empfiehlt sich zudem ein Sensitivity Reading. Was das ist, erfährst du hier.


Wie schreibe ich über sensible Schicksale? Darum geht es auch in diesem Beitrag zum Thema „Recherche für AutorInnen“. Wie ihr Gesprächspartner findet und Interviews führt, die euch weiterbringen, haben wir bereits besprochen.


  • Wie ihr den richtigen Gesprächspartner findet, lest ihr hier.

  • Wie ihr ein sensibles Thema mit Fingerspitzengespür führt, erfahrt ihr an dieser Stelle.


Konkret geht es darum, wie ihr auch im Nachgang sicherstellt, dass ihr in euren Büchern authentisch über besondere Herausforderungen, Schicksale und Lebenswege schreibt, ohne in die Klischeefalle zu rutschen oder victim blaming zu betreiben.


Nach dem Schreiben ist vor dem Faktencheck:


Ihr wollt, dass eure Figur sein gesamtes bisheriges Leben infrage stellt und sich endlich dazu durchringt, seinen Traum wahr zu machen. Eine Möglichkeit ist, euren Prota ein traumatisches Erlebnis durchmachen zu lassen, etwa einen schweren Unfall, bei dem er nur knapp überlebt.

Nun ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eure Texte von Menschen gelesen werden, die ein gewisses medizinisches Grundwissen besitzen. Vielleicht zieht ihr sogar speziell diese Leserschaft an, weil euer Roman überwiegend in einer medizinischen Reha-Einrichtung spielt oder bereits im Klappentext steht, dass ein Unfall alles verändert.


George Clooney geht vielleicht als Halbgott in Weiß durch... aber wir?!

Diese Leser steigen euch garantiert aus, wenn ihr einfach nur irgendwelche Begriffe aus Emergency Room oder Grey’s Anatomy einwerft. George Clooney mag man verzeihen, dass er bei jedem zweiten Patienten eine Thorax-Drainage legt, aber uns …


Was für ein Glück, dass ihr diese Szenen vor der Veröffentlichung von Menschen lesen lassen könnt, die Ahnung von Erstversorgung am Unfallort oder Intensiv-Medizin haben. Menschen die euch sehr genau sagen können, was ein Notarzt am Unfallort macht und wer als Erster vor Ort ist. Ihr kennt niemanden mit medizinischem Fachwissen? Kein Problem, ihr habt ja #bookstagram , die weltbeste Börse für Schreibinteressierte auf Instagram, die allesamt ganz normale Brötchenjobs haben. Traut auch und startet einen Aufruf. Es findet sich bestimmt jemand, der jemanden kennt, der … ihr wisst schon.


Sensitivity Reading: authentische Figuren schaffen statt Klischees zu reproduzieren

Bleibt noch die zweite Komponente, die mehr Schaden anrichten kann als ein falsch beschriebener ärztlicher Handgriff: die Trauma-Bewältigung. Wie äußert sich eine post-traumatische Belastungsstörung (PTBS)? Wie fühlt es sich an, wenn die Bilder des Unfalls immer wieder zurückkehren? Welche Coping-Mechanismen entwickeln Menschen und wie geht das Umfeld damit um?


Natürlich gilt auch hier: Ihr kennt euren Protagonisten am besten. Ist er eher der einsame Grübler oder jemand, der über seine Gefühle spricht? Ist er in eine Gemeinschaft eingebettet oder gerät sein Leben leicht aus den Fugen? Ihr gebt eurem Prota das psychologische Rüstzeug mit. Aber um authentisch über Traumabewältigung zu schreiben, braucht es mehr (auch wenn uns die 80er Jahre Daily Soaps weismachen wollten, dass es reicht, den Protagonisten ein paar Mal schweißnasss nachts im Bett hochschrecken zu lassen).


In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten, von denen eine eindeutig mein Favorit ist.


Option 1 "die einfache Variante": Was sagt die Popkultur?


Seht euch an, was der popkulturelle Konsens ist und reproduziert ihn. Wie sich aus Sicht heutiger Drehbuchschreiber eine PTBS äußert, seht ihr beispielsweise in der Netflix-Serie „Virgin River“, in der Ex-Soldat Jack Sheridan immer wieder Flashbacks erleidet … und schweißgebadet aus Alpträumen wach wird. Als außergewöhnlich gute Darstellung von PTBS gilt der Film „Fearless“, in dem es um den Überlebenden eines Flugzeugabsturzes geht.


Option 2 "die individuelle Variante": Was sagen Sensitivity Reader?


Sensitivity Reader werden in meiner Wahrnehmung immer wichtiger, wenn es um die Darstellung von marginalisierten Gruppen geht. Sensitive Reader sind Testleser, die etwas mit eurem Protagonisten gemein haben (etwa einer bestimmten kulturellen Gruppe oder gesellschaftlichen Schicht angehören oder eine bestimmte Lebenserfahrung gemacht haben). Sie können euch genau sagen, an welchen Stellen in eurem Manuskript sie scharf Luft eingezogen oder die Augen verdreht haben.

Das ist ein enormer Vorteil, wenn ihr eben nicht allgemeine Informationen sucht, sondern wissen wollt, ob euer Plot funktioniert. Ich würde ein solches sensitives Lesen auch bei Themen wie der hier beschriebenen PTBS empfehlen. Denn nur dann könnt ihr sichergehen, dass ihr das Krankheitsbild authentisch beschreibt.


Aber: Auch Sensitivity Reading kennt Grenzen. So müsst ihr zwischen der Persönlichkeit des Lesers und eures Protagonisten unterscheiden. Sensitivity Reader sollen euch nicht ihre Geschichte leihen, sondern lediglich einschätzen, ob ihr authentisch erzählt oder ungewollt zu einer Retraumatisierung oder Stigmatisierung beitragt.


Keine Angst: Euer Buch muss kein Fachlexikon werden


Puh, das war jetzt viel Stoff? Keine Angst. Ihr müsst nicht zum Trauma-Experten werden. Und natürlich sind dramaturgische Entscheidungen erlaubt an Stellen, die niemandem weh tun. Welche das sind? Ich denke da an einen Kommentar des Forensikers Mark Benecke. Die Thriller-Autorin Romy Hausmann hat ihn mal in ihrem gemeinsamen Podcast gefragt, ob er Thriller lesen kann, ohne sich permanent über falsche Darstellungen zu ärgern. Daraufhin sagte er sinngemäß: Wenn ich ein Buch lese, will ich eine gute Geschichte, die mich fesselt. Wenn dann der Autor meint, dass Angehörige vor einem Tisch in einem schlecht beleuchteten Raum stehen und ein Leichentuch hochheben sollen, dann ist das eben so.

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