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  • AutorenbildVera Zischke

Der rote Faden oder: Wie beginne ich einen Roman?

Was ist zuerst da? Ein Thema, eine Figur oder eine Frage, die dich nicht mehr loslässt? Disclaimer: Das alles kann der Ausgangspunkt für einen Roman sein. Die spannendere Frage aber ist eine andere. Was kommt nach dem zündenden Gedanken?

Was will ich erzählen? Das ist hier die Frage. (Fotos: Wix)


Der Weg zum ersten Roman ist so vielfältig wie wir Autor:innen. Manche lassen eine Geschichte über Jahre in sich reifen wie einen guten Wein. Andere haben ein einschneidendes persönliches Erlebnis, das ihre Sicht auf die Welt verändert. Andere haben einfach Freude am Geschichtenerzählen.


Ich zum Beispiel wollte schon sehr lange einen Roman schreiben und habe viele Versuche unternommen. Aber ich hatte kein Thema. Zumindest keines, das stark genug war, um mich in Bewegung zu setzen. Erst als ich drei Kinder hatte und feststellte, dass alles was ich tue plötzlich an einem völlig überzogenen Mütterideal gemessen wird, entstand diese Geschichte in mir, die ich unbedingt erzählen wollte. Mein Debüt begann damals mit einer Frage und ich startete sofort mit dem Schreiben. Heute würde ich mir selbst raten: Beginne mit einer Behauptung! Und lerne verdammt nochmal deine Figuren kennen, bevor du über sie schreibst. Man spart nämlich keine Zeit mit dem Schnellstart. Man hängt sie einfach nur in der Überarbeitung hintendran.


Traue dich, dein Thema zugespitzt und kontrovers anzulegen

Eine weitere wichtige Erkenntnis, die ich als Journalistin machen musste, ist die: Literarisches Schreiben bedeutet nicht, ein perfektes Abbild der Wirklichkeit zu zeigen. Sondern die Welt aus Sicht deiner Figur zu zeichnen. Und diese Sicht sollte möglichst interessant und zugespitzt sein. Du schreibst kein Aufklärungsbuch, kein Lehrbuch, kein Nachschlagewerk. Traue dich, dein Thema so zu erzählen, dass du es auf die spannendste Art beleuchten kannst. Es lohnt sich, darüber etwas länger nachzudenken und die Ausgangsbehauptung wirklich prägnant zu formulieren, denn sie wird dich über einen sehr, sehr langen Zeitraum begleiten. Und habe keine Angst, unbequeme Figuren zu erschaffen. Es ist bedeutend einfacher und macht mehr Spaß, sich 300 Seiten lang an einem Charakter mit Ecken und Kanten abzuarbeiten.


Als Beispiel für eine bewegende literarische Verwandlung eines persönlichen Themas fällt mir Anne Rices "Interview mit einem Vampir ein". Sie hat in diesem Buch den Tod ihrer Tochter verarbeitet. Sie hätte ein Sachbuch schreiben können, oder eine autofiktive Geschichte über Verlust. Tatsächlich schrieb sie über Vampire, die mit ihrer eigenen Unsterblichkeit hadern.


Der Dreh- und Angelpunkt deiner Geschichte


Was also tust du nach dem zündenden Gedanken? Formuliere die Kernthese, die du mit deiner Geschichte beweisen willst. Oder - wenn dir das zu viel vorwegnimmt - formuliere eine Frage, der du in deinem Buch nachgehen willst. Beides gibt deiner Arbeit Struktur und einen roten Faden. Wenn du dich für eine Frage entscheidest, bedeutet das: Du musst diese Frage zu Beginn deiner Geschichte aufwerfen und am Ende muss sie beantwortet sein. Bei der Behauptung wird noch klarer, welchen Bogen du schlägst, weil du das Ende gleich mitformulierst. Beispielsweise kann eine Behauptung lauten: "Egal was du ihnen antust, deine Eltern lieben dich trotzdem." Dann ist völlig klar, dass deine Geschichte von jemandem handelt, der seinen Eltern großes Unrecht antut und trotzdem am Ende Vergebung erfährt. Du gibst dir also selbst als Autor:in eine konkrete Aufgabe, an der du dich in jeder Szene und mit allen Figuren abarbeiten musst, und je heftiger das Unrecht ist, desto mehr hast du zu tun.


Nehmen wir ein weiteres Beispiel. Deine Behauptung lautet: "Liebe siegt immer." Dann kannst du jetzt deine Figur in eine möglichst unmögliche Liebesgeschichte schicken, in der sie kämpfen, durchhalten, dranbleiben muss, um am Ende belohnt zu werden. Gleichzeitig müssen aber auch sämtliche Nebenfiguren sich dieser Behauptung stellen. Auch bei ihnen wird es darum gehen, wie sie entweder

  1. das Liebesglück der Hauptfigur befördern oder behindern

  2. ihre eigenen Liebesdramen erleben.


Ganz wichtig: Deine Behauptung ist keine Moral von der Geschichte

Du hast also einen Dreh- und Angelpunkt geschaffen, der dir einen roten Faden gibt bzw. dir hilft, alle losen Fäden deiner Geschichte zusammen zu halten. Denn die Frage "was will ich überhaupt sagen?" und "was mache ich mit meinen Figuren?" gehören zu den meistgestellten, wenn man ein Buch schreibt.


Was ich hier als "Behauptung" bezeichne, hat in der Schreibtheorie verschiedene Namen. Manche sprechen von einer Prämisse, andere von einer These. Was dahinter steckt, erkläre ich in späteren Beiträgen. Wichtig für euch ist, dass es sich bei dieser Behauptung nie um "die Moral von der Geschichte" handelt. Ihr müsst keine Lebensweisheit formulieren, keinen allgemeingültigen Sinnspruch. Die Behauptung muss nur zu eurer Hauptfigur passen, zu niemandem sonst. Denkt zum Beispiel an Romeo und Julia, die lieber tot als getrennt sein wollten. Wer will schon so enden? Durchs Schlüsselloch gucken und Mitleiden wollen wir aber schon.


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