Die Vereinbarkeit von Schreiben und Leben
- Vera Zischke
- 30. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
"Wenn ich mal Zeit habe, schreibe ich auch ein Buch." Wir alle kennen diesen Satz von Kollegen oder Bekanten, wenn wir von unserem Schreiben erzählen. Und wir alle wissen, dass diese Zeit niemals kommt. Zeit fürs Schreiben muss man sich nehmen. Aber wie? Vor allem, wenn alles andere im Leben sich ständig vordrängelt?

„Schreiben ist keine Frage der Zeit, sondern eine Frage des Raums. Wenn Sie in Ihrem Kopf keinen Platz zum Schreiben haben, werden Sie nicht schreiben, selbst wenn Sie die Zeit dazu haben.“ - Katerina Stoykova Klemer
Es ist ein Dilemma. Du willst schreiben, aber Schreiben ist eine brotlose Kunst, also kommt alles andere an erster Stelle. Da ist der Brotjob, dann kommt die Familie, ein bisschen Sozialleben muss auch noch sein und dann, sind schon wieder zu wenig Stunden vom Tag übrig, um sich ins angefangene Manuskript zu stürzen.
Wenn man erstmal erfolgreich wäre… denkst du dann. Aber dann sprichst du mit Autoren, die bereits Bestseller veröffentlicht haben, und die erzählen dir, wie viele Stunden es kostet, sein Buch zu vermarkten, auf Lesereise zu gehen und in Podcasts zu sitzen.
Kurzum: Das Schreiben ist so flexibel, biegsam und gleichzeitig so zeitintensiv, dass es gar nicht so leicht ist, einen festen Platz dafür in einem vollen Leben zu finden.
Wie gelingt es trotzdem?
Platz fürs Schreiben zu schaffen ist für mich nicht unbedingt eine Frage von Stunden, sondern je nach Persönlichkeitstyp eine Frage von Routine oder Priorität.
Wenn du Routinen in deinem Leben magst dann kann es für dich am besten sein, dir ein festes Zeitfenster fürs Schreiben einzurichten, und wenn es nur 60 Minuten am Morgen vor der Arbeit oder am Abend nach der Tagesschau sind. Vielleicht hilft es dir auch, jeden Tag ein bestimmtes Schreibziel festzulegen, um zufrieden sein zu können. 2000 Wörter an vier Tagen in der Woche würden bedeuten, dass du in sieben Wochen eine Rohfassung stehen hast. Vielleicht brauchst du Ritual, Wordtracking, einen festen Rahmen, der dir das Gefühl gibt, diesem Prozess nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Denn Schreiben ist messy und es erfordert eine gewaltige Menge an Willenskraft. Struktur kann das Ganze in kleine Häppchen einteilen und weniger einschüchternd erscheinen lassen.
Stephen King vertritt diese Art des Arbeitens. Drei Monate - dann steht sein Roman.
Es gibt aber auch Autorinnen und Autoren unter uns, die sofort in die Schreibblockade rutschen, wenn das Wort Routine fällt. Für sie kann es besser sein, sich für eine kurze Dauer in eine Art Kokon zurückzuziehen. Auch für den Preis, dass das soziale Leben in der Zeit auf Eis liegt, dass nur das Nötigste gemacht wird, keine Verabredungen stattfinden, keine Wochenendtermine. Stattdessen versinkst du für eine gewisse Zeit in deinen inneren Welten, hörst nonstop dieselbe Playlist, tippst wie besessen an deinem Script, schaust zwischendurch immer wieder denselben Film, weil er dich im Vibe deines Projekts hält… okay, ich glaube ihr wisst, zu welchem Modell ich tendiere.
Dieser Persönlichkeitstyp blüht in der Intensität auf, kann das Chaos gut aushalten und ist irgendwann so intensiv in seinem Stoff drin, dass selbst im Auto weitergetippt wird, während man auf die Kinder wartet.
Wohlgemerkt: Das ist kein Dauerzustand. Du schreibst nicht am Fließband neue Romane. Wenn du dir zum Beispiel vornimmst, ein Manuskript im Jahr aufzulegen, dann hast du einmal im Jahr für ein paar Wochen eine intensive Schreibphase, in der du dich ganz dem zerbrechlichsten Teil deines Autorenlebens widmest: deiner Rohfassung.
Wichtig ist, dass du deinem Schreiben Platz einräumst. Und zwar auf genau die Art, die zu dem Zeitpunkt in dein Leben passt. Das kann sich verändern. Ich zum Beispiel werde immer mehr zum Routinenschreiber. Wer hätte das gedacht?
Es gibt keine „One fits all“ Lösung. Ein Schreibprozess entsteht durch Ausprobieren und Selbstbeobachtung. Vielleicht hilft es dir, einen festen Schreibplatz einzurichten. Wenn es hakt, kann es helfen, den Ort zu wechseln. Manchen flößt der Schreibtisch viel zu viel Respekt ein, fühlt sich zu sehr nach Arbeit an, um in Stimmung zu kommen.
Wichtig ist, dass du dein Schreiben ernst nimmst, eine Verabredung mit dir selbst triffst und eine Zielmarke definierst, die für dich funktioniert: Egal, ob das ein Wort- oder Zeitziel pro Tag/Woche/Monat ist oder etwas anderes.
Gerade für Anfänger kann es schwer sein, Schreibzeiten freizuhalten und sie gegenüber der Familie oder anderen Verpflichtungen zu behaupten. Dann sag dir folgendes: Wenn du einen VHS-Kurs für kreatives Arbeiten mit Modelliermasse gebucht hättest, dann müsstest du dir auch ein gewisses Zeitfenster dafür freischaufeln und niemand würde es in Frage stellen. Ja, vielleicht hilft das: Sieh es wie einen festen Termin in einem Sportverein oder einer Fortbildung.
In manchen Städten gibt es Offene Schreibtreffs, zum Beispiel in Essen im Unperfekthaus.
Auch das kann helfen, das Schreiben ins Leben zu integrieren und buchstäblich Räume dafür zu schaffen. Denn genau darum geht es.
Und jetzt: Ran an die Tasten. Type it out loud!
Wir lesen uns
Deine Vera
Hörtipp: Über meinen Schreiballtag und das Finden meines Autorinnen-Ichs habe ich mit Christina Warnat in ihrem Podcast KreativDate gesprochen. Hier geht es zur Folge:
Und zum Schluss noch ein Buchtipp:
Im mare Verlag ist ganz frisch "Ein Raum zum Schreiben" von Kristin Valla erschienen. Noch liegt es unberührt auf meinem Nachtisch udn wartet auf seinen Moment. Aber ich freue mich jetzt schon sehr darauf. Soll ich euch davon ezählen?
Klappentext: Obwohl sie mit dreißig mehrere international beachtete Romane veröffentlich hat, stellt Kristin Valla mit Anfang vierzig fest, dass niemand – nicht einmal sie selbst – sie noch als Schriftstellerin betrachtet. Inzwischen ist sie Mutter geworden, ihr ehemaliges Arbeitszimmer in der kleinen Osloer Wohnung zum Kinderzimmer, und im Kreise anderer Kreativer fragt schon längst niemand mehr, woran sie gerade arbeitet. So fasst sie den Entschluss, sich den verlorenen Schaffensraum zurückzuerobern, und begibt sich auf zwei parallele Reisen. Die erste führt sie – auf der Suche nach einem eigenen Arbeitsdomizil am Meer – nach Südfrankreich, die zweite auf die Spuren berühmter Literatinnen wie Daphne du Maurier, Selma Lagerlöf, Toni Morrison oder Chimamanda Ngozi Adichie, für die das Recht auf einen eigenen Raum zum Schreiben alles andere als selbstverständlich war.
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