Lesungen als Nebenjob - wie geht das?
- Vera Zischke
- 5. Juni
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 7 Tagen
Eine Lesung ist eine Dienstleistung, die vollkommen unabhängig von deinem Buch existiert. Warum du nicht nur ein anständiges Honorar verlangen kannst, sondern meiner Ansicht nach unbedingt solltest, erfährst du hier. Außerdem schildere ich, was meiner Erfahrung nach alles zu diesem Job dazu gehört.

Ich werde immer mal wieder vertrauensvoll von euch gefragt, was ich für eine Lesung berechne, ob man überhaupt Geld dafür nehmen kann und was alles zum Job dazu gehört.
Deshalb nutze ich die Gelegenheit für ein offenes Wort über Lesungen: Wenn ihr eine Lesung haltet, dann ist das nicht bloß eine Werbeveranstaltung für euer Buch. Eine Lesung ist eine umfangreiche Dienstleistung, die völlig losgelöst von einem Buch existiert. Ihr bereitet ein Programm vor, das über 1,5 bis 2 Stunden trägt. Ihr seid der Showmaster für diesen Abend. Man würde doch auch einen Comedian nicht gratis auftreten lassen, oder?
Ich habe einige Jahre als selbstständige Texterin gearbeitet. Ich weiß, wie schwer es ist, selbstbewusst Preise zu kalkulieren. Der wichtigste Rat, den mir eine Freundin gegeben hat, war: Du musst dir etwas wert sein. Oder mein Mann, der sagt: Wenn du dich billig verkaufst, musst du auf Masse gehen. Kannst du das?

Ich kann es nicht. Eine Lesung ist nichts, was ich mal eben aus dem Ärmel schüttele. Sie muss akquiriert werden. Von fünf angefragten Buchläden melden sich vielleicht zwei zurück. Sie muss vorbereitet werden, zum Teil werden Verträge abgeschlossen, PR-Material zur Verfügung gestellt, der Ablauf besprochen und evtl. angepasst. Der Termin reißt eine Lücke in den Familienalltag, die wegorganisiert werden muss. Und auch die persönliche Nachbereitung gehört dazu. So viel Freude wie es mir macht, so viel Kraft kostet es auch. Ich merke es am Tag danach.
Es gibt Autorenkolleg:innen, die mit anderen Voraussetzungen auf dem Markt unterwegs sind. Es gibt Autor:innen, die nicht auf das Lesungseinkommen angewiesen sind, um ihre Autorentätigkeit zu finanzieren. Es soll auch Autor:innen geben, die einfach losreisen können, ohne einen Baby-, Hunde-, Brotjob- oder was auch immer Sitter organisieren zu müssen.
Aber ich wette, dass die meisten von uns nicht einfach unbezahlt durchs Bundesgebiet fahren und ihre Zeit verschenken können. Versteht mich nicht falsch: Natürlich ist es okay, mal gratis für den guten Zweck zu lesen, kleine Buchhandlungen zu unterstützen, auch mal eine Lesung zu verlosen. Aber - und deshalb schreibe ich das ganze Gedöns hier - es ist niemals selbstverständlich. Es ist niemals der Default Mode. Der Default Mode muss sein: Für gute Arbeit wird gut gezahlt.
Lesungen: Was gehört alles dazu?
Lesungsakquise (wer kommt in Frage?)
Programm planen (1,5 Stunden aufsetzen, verändert sich immer wieder, gehe vor jeder Lesung nochmal durch)
Orga (Vertrag?, Equipment? Übernachtung/Anfahrt? Ablauf? Buchverkauf? Kurz vorher fragen, wie viel sich verkauft hat?)
der Tag selbst
Nachher (Rechnungen schreiben, kurzer Austausch)
Lesungen sind für mich das Sahnehäubchen auf der Torte. Nach all der Liebe und der Arbeit, die man in sein Buch gesteckt hat, ist auf den Lesungen der Moment gekommen, es der Welt vorzustellen. Du kommst in Kontakt mit deinen Leser:innen, du siehst deine Geschichte durch die Augen der anderen und du bist an diesen Abenden einfach nur Schriftstellerin. Manchmal lese ich aus „Ava liebt noch“ vor und es trifft mich wieder wie aus heiterem Himmel, dass das hier wirklich passiert. Aber damit es passiert, ist für die meisten von uns viel Arbeit nötig. Ich nehme euch mal mit durch meine gesammelten Erfahrungen.

Schritt 1: Lesungen akquirieren
Ich habe meine Lesungen bisher selbst organisiert. Wenn ich Anfragen stelle, dann schicke ich ein kleines Pdf zu mir mit, in dem ein paar Testimonials zu vorangegangenen Lesungen drinstehen, der Ablauf meiner Lesungen sowie meine Konditionen und evtl. technisches Gerät (ich z.B. lese ab einer gewissen Größe gern mit Mikro).
Bewerben kann man sich längst nicht nur in Buchläden. Eigentlich kann man überall lesen - je nach Thema deines Romans auch im Klamottenladen, beim Bestatter, im Schwimmbad.
Hier kommt ein kleiner Überblick darüber, wo ich bereits Lesungen hatte und welche Unterschiede mir aufgefallen sind.
Buchhandlungen:
Pro:
Kontakte zum Buchhandel sind einfach das Allerwichtigste
Veranstalter übernimmt Marketing
häufig existiert bereits ein Stammpublikum
Buchverkäufe sind wahrscheinlich
nach einer netten Begegnung wird dein Buch möglicherweise prominent im Laden platziert
du bist nach Ladenschluss in einem Buchladen, yeah!
Kontra:
viele melden sich gar nicht erst zurück, weil sie so viele Anfragen bekommen
das Stammpublikum passt möglicherweise gar nicht zu deinem Buch
PS: eigentlich gibt es aber kein wirkliches Kontra - es sind BUCHLÄDEN!!!
Cafés/Bars/Geschäfte:
Pro:
lockere Atmosphäre
evtl. kommt Laufkundschaft spontan dazu
niedrigschwellig, du erreichst Menschen, die sonst nicht auf Lesung gehen
Kontra:
häufig bekommst du den Raum gestellt, musst dich aber um die gesamte Werbung kümmern
Publikum möchte unterhalten werden, aber keine Bücher kaufen, ohne Eintritt sind Buchverkäufe aber deine einzige Einnahmequelle
Beratungsstellen/Bildungszentren/Büchereien/Familienzentren:
Pro:
möglicherweise perfekt passend zu deiner Zielgruppe
häufig gehören diese Stellen zu einem Netzwerk, so dass du auch an anderen Standorten gebucht wirst
Kontra:
möglicherweise wenig Lesungserfahrung und kein Stammpublikum
evtl. ist deine Mithilfe beim Marketing gefragt
fällt gerne mal kurzfristig aus, wenn Mindestteilnehmerzahl nicht erreicht wurde
evtl. Bürokratie/Formularkram
Schritt 2: Wie bereitet man eine Lesung vor?
Lesungen zu halten, bedeutet viel mehr als vorzulesen. Die klassische Wasserglas-Lesung (Autor verschanzt sich hinter Buchdeckeln, liest monoton vor, bekommt ein paar Fragen gestellt und geht wieder) ist passé. Heute sind wir Autor:innen auch Entertainer:innen. Es gibt Lesungen mit Musik, es gibt singende Autor:innen, kleine Rollenspiele, Power-Point-Präsentationen, regelrechte Bühnenprogramme und natürlich Fitzek im Stadion. Keine Angst, du musst jetzt nicht Stand Up Comedian werden. Aber du darfst Lesung so denken, wie du sie gerne hättest.
Ich habe mein Lesungsprogramm am Anfang jedes Mal weiterentwickelt. Eine Zeit lang hatte ich zwei Programme: eines für Buchhandlungslesungen mit mehr Infos zur Schriftstellerei und eines für Abende, an denen es vor allem um Reflecting Motherhood geht. Inzwischen ist beides zu einem Gesamtpaket verschmolzen.
Ich lese vier Szenen vor, die jeweils 5-8 Minuten dauern. Es geht nicht nur um das Buch. Ich versuche einen abwechslungsreichen Mix aus der Geschichte des Buches, dem Entstehungsprozess und den angeschnittenen gesellschaftlichen Debatten hinzubekommen.

Schritt 3: Die Vorbereitungen rund um die Lesung
Diesen Punkt habe ich am meisten unterschätzt. Manchmal müssen Formulare hin- und hergeschickt werden oder Pressematerial zur Verfügung gestellt werden. Manche Veranstalter möchten vorher ein längeres Telefonat als Vorgespräch.
Verträge sind eher unüblich, habe ich festgestellt. Falls einer gewünscht wird, würde ich mich dazu mit dem Verlag abstimmen, der euch evtl. mit einem Musterdokument für eine Veranstaltungserklärung versorgen kann. Solltet ihr euch etablieren oder mit einem Spitzentitel an den Start gehen, wird der Verlag sicherlich auch die Absprache und im Idealfall auch die Akquise übernehmen.
Braucht ihr Equipment? Das hängt natürlich davon ab, ob ihr mit einer Power Point Präsentation arbeitet oder ein Instrument mitbringt. Ich bringe nur mein Buch und mich mit. Ich freue mich ab etwa 30 Personen über ein Mikrofon, weil ich dann einfach gefühlvoller vorlesen kann. Ansonsten habe ich meistens eine Flasche stilles Wasser dabei, denn wer möchte schon ins Publikum rülpsen?
Ich selbst habe bislang nur einmal eine Lesung mit Hotel-Übernachtung gemacht, deshalb kann ich nur wenig zu diesem Punkt sagen. Da ich mit dem eigenen Auto anreise, berechne ich Kilometergeld.
Eine wichtige Frage für mich ist jeweils, ob es vor Ort einen Buchverkauf gibt. Manchmal ziehen Veranstalter eine lokale Buchhandlung für einen Büchertisch hinzu. Wenn nicht, bringe ich selbst Bücher zum Verkaufen mit, die ich wiederum bei meinem Verlag gekauft habe. Damit ich nicht zu viel oder zu wenig mitschleppe, frage ich immer ein paar Tage vor der Veranstaltung nach, mit wie vielen Personen gerechnet wird.
Viele Autor:innen bevorzugen den eigenen Buchverkauf, weil die Marge dann natürlich besonders groß ist. Statt wie üblich etwa zehn Prozent am verkauften Buch im Handel mitzuverdienen und auf die Ausschüttung der Tantiemen warten zu müssen, verdienen sie auf der Stelle und zwar mit Händlermarge.
Ich selbst muss gestehen, dass ich als schlecht organisierter Mensch mit einer permanent geplünderten Wechselgeldkasse (die Kinder, das Taschengeld, ihr wisst schon..) und aus lauter Angst um die eingelagerten Bücher (die Kinder, das Toben, ihr wisst schon) tatsächlich ganz froh bin, wenn ich nicht selbst für den Buchverkauf zuständig bin.

Schritt 4: Der Tag selbst - die Kür
Jetzt kommt die Kür, das Sahnestück, das Allerschönste an der ganzen Sache: die Lesung! Veranstalter:innen bitten oft, dass ich eine Stunde vorher da bin. Ich kann verstehen, dass sie sichergehen wollen, dass ich auf jeden Fall pünktlich erscheine. Ich muss aber gestehen, dass es mir nicht besonders gut tut, zu lange vorher da zu sein. Meistens stehe ich nutzlos in der Gegend rum und merke, wie die Nervosität steigt. Am besten passt es für mich, 30 Minuten vorher da zu sein. Vielleicht bin ich hier aber auch komplett untypisch und ihr denkt euch alle gerade: Was ist mit der Frau los?
Zum Abend selbst kann ich euch nur sagen: Genießt es! Jedes Publikum ist anders, aber es gibt immer den skeptischen Stirnrunzler, es gibt immer den enthusiastischen Nicker und der Witz ist: Am Ende der Lesung lässt garantiert der Skeptiker ein Buch signieren und der Enthusiast verschwindet zur Tür hinaus, ohne ein Buch mitzunehmen.
Mein Tipp: Der Nicker bringt euch durch den Abend. Es motiviert ungemein, wenn man sich beim Reden ein paar freundliche Gesichter sucht, die einem Mut zunicken.
In aller Regel gilt: Die Menschen sind gekommen, um einen schönen Abend zu haben. Niemand ist dort, um dich auseinanderzunehmen oder dein Buch zu zerreißen. Habt Spaß! Meine Lieblingsmomente sind oft in den kurzen Begegnungen nach der Lesung, wenn mir die Menschen etwas über sich erzählen oder ihre Leseeindrücke schildern.
Zum Schluss gehört für mich eine kurze Absprache mit dem Veranstalter:innen dazu. Hat es ihren Erwartungen entsprochen? Wie lief der Buchverkauf? Sehen wir uns beim nächsten Buch wieder?
Schritt 5: Nachbereitung nach der Lesung
Ganz ehrlich: Ich fühle mich am Tag nach einer Lesung wie ein Rockstar, der abends allein im Hotelzimmer sitzt. Wenn ich am nächsten Morgen im Brotjob antreten muss, geht es manchmal sogar besser, dann rutsche ich einfach wieder zurück in mein eigentliches Leben. Sonst liege ich vormittags schlapp auf der Couch und fühle ich mich wie Cinderella, deren Kutsche wieder zum Kürbis geworden ist.
Zur Nacharbeit gehören neben dem Rechnungsschreiben manchmal auch ein kurzer Austausch, ein Social Media Post oder auch Austausch mit Leser:innen, die vor Ort waren und via Insta ganz wunderbare Nachrichten schreiben. Und das ist doch das Allerschönste am Autorinnenleben. Zu spüren, dass man eine Geschichte in die Welt entlassen hat, die jetzt wirklich da draußen unterwegs ist und Herzen bewegt.
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